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Sborník ze semináøe KAP Velehrad 2017

Roswitha Gottbehüt

Roswitha Gottbehüt

Aspekte der ‘neuen industriellen Revolution‘ – deutsche Herangehensweisen

Was verstehen wir unter der ‘neuen industriellen Revolution’?
Die‚ neue industrielle Revolution‘ enthält partiell den Begriff des‚ digitalen Wandels‘.
Dieser Begriff greift jedoch viel zu kurz, da seine Anwendungen und Auswirkungen viele gesellschaftspolitische Veränderungen mit sich bringen, insbesondere verändern sich die Arbeitsbeziehungen und deshalb die Parameter in der Tarifpolitik. Darauf möchte ich eingehen.

Zunächst einmal zu uns selbst – da wir ja diesen Wandel mitgestalten möchten und auch müssen: Was passiert mit uns, wenn wir den Begriff ‚digitaler Wandel‘ in Bezug auf ‚Arbeit‘ denken? Bleibt unsere Haltung offen und objektiv, oder haben wir eher eine verschlossene Haltung? Haben wir die Bereitschaft, uns auf Neues einzulassen? In Deutschland stellt man sich die Frage des Wandels schon seit einiger Zeit – in Gewerkschaften, in der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), als junger bzw. älterer Arbeitnehmer, als Betriebsrat, auch aus dem Blickwinkel der Wissenschaft, des öffentlichen Dienstes, der Wirtschaft und aus den neuen Medien – also ein heterogener Blickwinkel, der Offenheit erfordert, um ausbalancierte Debatten führen zu können.

Die Initiativen zum Thema vielfältig und fast unüberschaubar: Wir finden einerseits eine große Begeisterung über die neuen Möglichkeiten des technischen Fortschritts. Junge Menschen denken hier anders als Ältere und sehen eher ihre Chancen. Wir stellen aber auch eine tiefe gesellschaftliche Verunsicherung fest, wohin der Wandel führen wird.

Wenn wir denken, er stehe uns noch bevor, dann ist dies nicht richtig: Der Wandel hat schon längst begonnen und bewegt sich in immer kürzeren Zeitzyklen. Wir sehen heute eine sprunghaft steigende Zahl von Plattformen (Uber und die vielen Crowd-Working-Plattformen, die bereits existieren). Die Schätzung liegt derzeit zwischen 1 und 2 Mio. Crowdworker in Deutschland – Ihre Kunden umfassen alle Wirtschaftsbereiche über Telekom, Deutsche Bahn, Google, Intel, AOL usw.

Zukünftige Lösungen werden gedacht, aber sie sind noch längst nicht reif zur Umsetzung. Es gibt heute noch mehr Fragen als konkrete Antworten.
Was macht man, wenn dies so ist? Zunächst einmal eine Analyse – mit der anschl. Suche nach Fixpunkten zur Orientierung.
Aktuell gibt es 5,6% Arbeitslose in Deutschland. Dies ist einer der geringsten Werte in der EU. Aber es lohnt sich ein genauerer Blick auf die deutschen Arbeitsmarktzahlen:
Wir sehen eine zunehmende Deregulierung durch den Abbau arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften (gelockerter Kündigungsschutz, einer Zunahme von Befristungen, Minijobs) und insbesondere der Zunahme nicht tarifgebundener Betriebe.
Der Anteil von Beschäftigung jenseits des Normalarbeitsverhältnisses hat sich von 1991 bis 2015 nahezu verdoppelt. Mittlerweile arbeiten laut Statistischem Bundesamt rund ein Viertel aller Beschäftigten und fast die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen (zum überwiegenden Teil unfreiwillig) in Teilzeit. Der Anteil geringfügig entlohnter Beschäftigter liegt bei 16 Prozent aller Erwerbstätigen. Befristete Beschäftigung hat von 1995 bis 2014 um zwei Prozentpunkte zugenommen, ihr Anteil liegt jetzt bei 13 Prozent. 45 % aller Neueinstellungen erfolgen befristet. Daneben hat die Bedeutung der Leiharbeit und Solo-Selbstständigkeit massiv zugenommen. Seit Mitte der 90er Jahre hat sich die Leiharbeit mehr als verfünffacht.
Hinzu kommen Werkverträge. Hier gibt es auch eine Überschneidung mit Solo-Selbständigen, die ohne sozialen Schutz arbeiten. Ein stetig steigender Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck ist sehr abträglich für die Gesundheit der Arbeitnehmer. Dies zu behandeln, kostet viel Geld.
Die Realität zeigt also, dass ein Nebeneinander von stärker und schwächer geschützten Beschäftigungsverhältnissen bereits existiert mit einer Tendenz des weiteren Auseinanderklaffens – dies wegen der Wettbewerbsfähigkeit im globalen Handel und der Gewinnmaximierung bei Unternehmen – ganz abgesehen vom ‚digitalen Wandel‘.
Alleine hier müsste seitens der Sozialpartner und Regierungen sozusagen intensiv ‚nachgebessert‘ werden.
Der Armuts- und Reichtums-Bericht 2017 attestiert Deutschland erneut eine „verfestigte Ungleichheit“. Die Digitalisierung kann hier als Sprengstoff wirken, wenn es nicht gelingt, den digitalen Wandel rechtzeitig gerecht zu gestalten.

Auf der Suche nach einem Fixpunkt bei zukünftigen grundlegenden Veränderungen steht bei Gewerkschaften und der Wissenschaft die Beschäftigungsform im Mittelpunkt, denn welche Stellung Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heute in Deutschland und in vielen anderen Ländern haben, entscheidet sich maßgeblich über die Beschäftigungsform: Ist man angestellt? Zu welchen Konditionen? Haben sie einen Arbeitsvertrag – oder erhalten sie nur einen Arbeitsauftrag? An diese Fragen sind nicht nur Arbeitsumfang und die Löhne geknüpft, sondern auch Rechte und soziale Sicherheit.
Wir wissen alle, dass ein normales Arbeitsverhältnis viele Absicherungen garantiert.
Gemeint ist ein Arbeitsverhältnis, das unbefristet, sozialversicherungspflichtig und in Vollzeit ausgeführt wird. Selbst die Betriebe profitieren von diesen ‚Ordnungsfunktionen‘, wo für beide Seiten eine gewisse Erwerbskontinuität möglich ist. Aber hier liegen die großen Herausforderungen in Bezug auf den digitalen Wandel.

Sie merken schon jetzt, wie wichtig der Soziale Dialog, die Arbeit von Sozialpartnern und Regierung ist, ein Grundstock an Verlässlichkeit und Schutzfunktionen zu garantieren, um (1) den globalen Herausforderungen, (2) der Demografie und (3) der zunehmenden Technisierung zu begegnen. Alle drei Bereiche sind unumkehrbar.
Aber vielleicht bietet der ‚digitale Wandel‘ eine Chance, weil sich mittlerweile der Handlungsdruck zur grundlegenden Veränderung erhöht hat.
Es ist eine extreme Herausforderung für Sozialpartner und Regierungen, den Wandel offensiv zu gestalten – und vor allen Dingen bald zu handeln.

Es entstehen seit geraumer Zeit neue Geschäftsfelder mit Mehrfachbeschäftigung.
Die Arbeitsorganisation, die flexibler, kooperativer und mobiler wird, muss neu gestaltet werden. Für starke Charaktere eröffnen sich Chancen von individueller Entfaltung zu mehr Selbstbestimmung, kreativen Entfaltungsmöglichkeiten und auch Teilhabe.
Der Vereinbarkeit von Familie und Beruf öffnen sich neue Türen.
In dem Zusammenhang wird im ‚Weißbuch Arbeiten 4.0‘ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (2016) ein sog. „persönliches Erwerbstätigenkonto“ vorgeschlagen, welches aber noch längst nicht zu Ende gedacht ist.

Andererseits wird der Wandel mit Sorge betrachtet: Es entstehe eine Massenarbeitslosigkeit, wird prognostiziert und es entstehen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt und eine zunehmende Polarisierung. Letztendlich: Die verantwortlichen Akteure sind sich nicht einig, ob Chancen oder Risiken überwiegen werden.
Es zeichnet sich ab, dass klassische Strukturen wie unsere Industrie neu gedacht werden müssen. Wenn sie erfolgreich bleiben wollen, müssen sie mit digitalen Plattformen zusammen arbeiten. Diese haben schon große Summen in die Erforschung künstlicher Intelligenz investiert. Technischer Fortschritt schafft neue Märkte, verändert Wettbewerbsbedingungen und somit die Grundlage, auf der die heutigen Arbeitsbeziehungen beruhen.

Wissenschaftler fragen: Sind Arbeitnehmer überhaupt noch Arbeitnehmer, wenn sie eine Internetplattform gründen? Als Crowdworker werden sie wie Selbständige behandelt. Es greifen also keinerlei Formen der sozialen bzw. arbeitsrechtlichen Standards für Arbeitnehmer. Die ‚Abhängigkeit‘ im Beschäftigungsverhältnis verschwindet mehr und mehr.
Es sei eine Chance für Arbeitnehmer, durch den digitalen Wandel eine markt-stärkere Position zu erreichen, so ein im Juni d.J. veröffentlichter Bericht. Es gibt bereits den durch den EuGH legal abgesicherten Begriff der ‚arbeitnehmerähnlichen‘ Beschäftigung (im Medienbereich, ca. 25% Betriebszugehörigkeit erforderlich).

In komplexen Wertschöpfungsketten ist nicht mehr klar zu definieren, wo die Grenzen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber liegen, aber andererseits auch nicht mehr, wie sich ein Betrieb definiert. Wie werden sich Betriebe verändern? Die Digitalisierung fördert betriebliche Strukturen, die statt einer räumlichen Einheit eher ein Netzwerk mit Angestellten, aber auch mit immer mehr Freelancern darstellen. Es zeichnet sich die Tendenz ab, dass Arbeit stärker über Vernetzung von mehreren Plattformen organisiert wird. Damit wird der bisherige Begriff des »Betriebs« auch überholungsbedürftig.
Was bedeutet es für Sozialpartner, wenn die Abgrenzungen zwischen Betrieben und Branchen verschwimmen? Wie kann eine schlagkräftige gewerkschaftliche Vertretung in einem Netzwerk aussehen?

Auch neue Arbeitsschutzmechanismen werden erforderlich, insbesondere im Bereich des Datenschutzes. Werden wir immer ‚gläserner‘ durch mehr Digitalisierung und Flexibilisierung? – eine Perspektive, die bei uns christlichen Arbeitnehmern u.a. ebenfalls die Frage nach der Würde des Menschen aufwirft.
An die Erwerbstätigkeit und an den Betrieb sind viele rechtliche und soziale Standards geknüpft, z.B. die Mitbestimmung. Ihre Inhalte (Informations-, Konsultationsrechte) sind mit dem Betrieb fest verankert.
Aus der Sicht von Gewerkschaften hätte dies auch Positives: Wird die Definition für Betriebe ‚enträumlicht‘, können Arbeitgeber nicht mehr durch das Zerlegen von Betrieben in Kleinstbetriebe die Mitbestimmung umgehen.
Die gesamte Diskussion zeigt, dass auch die heutige Gesetzeslage (Betriebsverfassungsgesetz, Tarifvertragsgesetz) nicht mehr ausreicht und angepasst werden muss. Beide Seiten brauchen neue Konturierungen.
Die Klassifizierung der Erwerbstätigen, die Definition von Betrieben und sich daraus ergebende Formen sozialer Absicherung sind daher Gegenstand vieler juristischer Debatten (z. B. Däubler/Klebe 2015; Klebe 2016; Prassl /Risak 2016).

Es lohnt sich, die entstandenen bzw. noch entstehenden Plattformen näher zu betrachten: Wir wissen, dass durch sie neue Arbeitsmarktzugänge entstehen. Aber es wird ein noch härterer Wettbewerb entstehen, als dies heute schon der Fall ist, denn viele globale Arbeitskräfte können sich um Aufträge mitbewerben. Ferner sind Fragen der Vergütung nicht geklärt, ebenso von Nutzungsrechten: Es gibt neben den Plattformbetreibern viele Co-Produzierende. Sie haben heute noch keine Rechte, um ihre Leistungsansprüche geltend zu machen.

Was ist unser Ziel in dieser digitaler werdenden Arbeitswelt?
Ziel muss es sein, Arbeit besser zu machen, d.h. Innovationen, Lebensqualität, soziale Sicherheit für Alle und rechtliche Absicherung müssen gewährleistet sein. Bei der zunehmenden Arbeits-Vielfalt müssen Normen verteidigt und ausgebaut werden.
Was verteidigt werden muss, ist das Berufssystem, insbesondere das der dualen Ausbildung. Es bietet in Deutschland mehr Sicherheit als in anderen Ländern wegen der komplexen Berufsbilder-Struktur. Diese lassen Kreativität zu, die nicht unbedingt durch Technik ersetzt werden kann.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung berechnet für Deutschland ein Automatisierungsrisiko von 12% aller Tätigkeiten. Ihre Modellrechnung geht davon aus, dass es im Jahr 2025 einerseits 1,5 Millionen Arbeitsplätze nicht mehr geben wird, dafür nahezu 1,5 Millionen Arbeitsplätze neu entstanden sein werden. Digitalisierung wird dabei den Strukturwandel zu mehr Dienstleistungen beschleunigen (Wolter et al. 2016).
Heute arbeiten 7 von 10 Beschäftigten in Deutschland im Dienstleistungssektor (s. Bericht ‚Arbeit transformieren‘). Dieser Anteil wird im Handel, Gesundheits- und Sozialbereich weiter zunehmen.
Geringqualifizierte werden stärker betroffen sein als Hochqualifizierte, Tätigkeiten im Büro, in der Sachbearbeitung und im Verkauf, in der Maschinenwartung und -steuerung sind eher automatisierbar als lehrende, entwickelnde oder soziale Tätigkeiten. Tätigkeiten in der IT-Branche werden zunehmen. Verfügbare Technik wird sich nur dann durchsetzen, wenn sie sich situationsbedingt rechnet.

Werden einzelne Tätigkeiten stärker automatisiert, steigt bekanntlich der Anteil der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Diese sind meistens anspruchsvoller als diejenigen, die durch Automatisierung wegfallen. Nicht nur deshalb, sondern auch ganz generell, ist Qualifizierung eines der wichtigsten Elemente für die zukünftige Erwerbstätigkeit.

Es ist nicht mehr die Frage der Anerkennung der sich ständig erweiternden Vielfalt von Beschäftigungsverhältnissen für Männer und Frauen gleichermaßen: Es ist die unabdingbare Frage für Politik und Sozialpartner, gerechten Lohn, soziale Absicherung und die arbeitsrechtliche Behandlung zu gewährleisten. Das ist die alles entscheidende personenbezogene und gesellschaftliche Schlüsselfrage. Was seitens der Politik und der Gewerkschaften stärker betont werden muss, ist die Tatsache, dass dies auch den Arbeitgebern und der Wirtschaft mehr Verlässlichkeit garantiert. Was seitens der Regierung stärker umgesetzt werden muss, ist die flächendeckende Verbindlichkeit von Tarifverträgen – dieses so schnell wie möglich.

27. August 2017, Roswitha Gottbehüt, CDA Rheinland-Pfalz